Hydrologie, Hydrogeographie

   
 

 Glaziologie

 
   

1.

Gletschereis
 

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Bildung in Polargebieten und Hochgebirgen; jährliche Schneeüberschüsse müssen vorhanden sein; absolute Menge zweitrangig;
Metamorphose von Schnee (0,02-0,08 g/cm³) -> körniger Schnee -> Firn (0,5-0,7 g/cm³) -> Eis (0,8-0,9g/cm³)
Ursache: Randliches Schmelzen und Wiedergefrieren, mechanische Einflüsse (Wind, Druck neuer Schneelagen) Dauer: Jahrzehnte (Alpen), 150-200 Jahre (Inlandeis)
Im Gletschereis sind die Sauerstoffatome (als Bestandteil des H2O-Kristallgitters) in bestimmten Ebenen angeordnet.

 

2.

Gletscherbewegung
 

2.1
interne Deformation

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Oben genannte Eigenschaften der Eiskristalle (und insbes. Der O-Atome) bewirkt bei allen Gletschern Bewegung durch interne Deformation -> "Deformationsfließen"
Ab einer Mächtigkeit der Schnee- bzw. Eismasse von ca. 20-30 m ermöglicht der Auflastdruck

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eine Rotation der Eiskristalle, bis alle Sauerstoffatom-Ebenen gleich orientiert sind
das Wachstum großer Eiskristalle auf Kosten kleinerer
das bevorzugte Wachstum von Eiskristallen, welche günstiger zur Druckrichtung liegen
die Veränderung der Form der Eiskristalle (Schmelzen und Wiedergefrieren)

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-> internes Gleiten zwischen einzelnen, gleich orientierten Eiskristallen
Die Geschwindigkeit dieser internen Deformation, nimmt von der Basis zur Oberfläche bzw. von den Rändern zur Hauptströmungslinie zu.
 

2.2
basales Gleiten

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Im Falle von temperierten oder warmbasalen Gletschern (gemäßigte Klimazonen) liegt an der Basis (in den gemäßigten Breiten) die Eistemperatur nahe dem Druckschmelzpunkt, so dass sich ein dünner Schmelzwasserfilm bildet, auf dem der Gletscher gleiten kann.
Die Bewegung ist abh. von der Temperatur des Eises: Auflast (+ Scherspannung bei starkem Gefälle) -> Druck -> Erniedrigung des Schmelzpunktes an der Gletscherbasis (große Eismächtigkeit -> Temperaturerhöhung in den tieferen Zonen aufgrund der Zufuhr geothermaler Wärme)
Dieses Phänomen tritt neben der internen Deformation nur an temperierten oder warmbasalen Gletschern auf.
Polare oder kaltbasale Gletscher besitzen diesen Schmelzwasserfilm nicht, ihre Bewegung ergibt sich einzig aus interner Deformation.
 

2.3
Allgemeines

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Bewegung gefällsorientiert (Fließen); zusätzliche Verformung entlang von Scherflächen (Unterschiede in der Fließgeschwindigkeit -> Gletscherspalten, Séracs);
Die Fließbewegung des Gletschereises konvergiert idealerweise im Nährgebiet, divergiert im Zehrgebiet (s.u.)
Saisonale Unterschiede in der Fließgeschwindigkeit des Eises: im Sommer höher als im Winter
 

3.

Massenbilanz
 

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Vereinfacht:
C = C´ + S + A - M - R,
 

 

 

wobei

C = Eisdicke am Ende eines Jahres

= Eisdicke am Anfang eines Jahres

S = Schneefallhöhe (zu Gletschereis verdichtet)

A = durch Gletscherbewegung zugeführte Eismenge

M = abgeschmolzene Eismenge (Ablation, Sublimation)
R
= durch Gletscherbewegung abgeführte Eismenge


 
 


  Grafik verändert nach: WINKLER 1996, AHNERT 1996

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Bestimmung der Massenbilanz erfolgt nach dem Hydrologischen Jahr oder Bilanzjahr (Oktober-September)
Unterteilung des Bilanzjahres in Winterbilanz (Akkumulation) und Sommerbilanz (Ablation): Winterbilanz-Sommerbilanz = Nettobilanz
Grenze zwischen Akkumulations- und Ablationsgebiet:: Schneegrenze (dynamisches Gleichgewicht zw. Schneefall und Schmelzpotential; S = M, R = A), Gleichgewichtslinie, Firnlinie (= reale Schneegrenze, höchste Lage im Spätsommer) etc.
Schneegrenze liegt in den Alpen bei ca. 2500-3000 m ü. NN, maximale Höhe in den randtropischen Trockengürteln (Anden ca. 6750 m, Äquator ca. 5000 m) -> erhöhte Sonneneinstrahlung wg. Wolkenarmut
Die Höhe der Gleichgewichtslinie wird als ELA bezeichnen (equilibrium line altitude)
Eine andere Möglichkeit der Zustandsbeschreibung eines Gletschers bietet die sog. AAR (accumulation area ratio), also das Verhältnis des Akkumulationsgebiets zur Gesamtfläche des Gletschers. Bei einer ausgeglichenen Bilanz sollte im Falle von Hochgebirgsgletschern die AAR etwa 60% betragen.
 

3.1
Akkumulation

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Massenzuwachs des Gletschers
Erfolgt durch winterliche Schneeakkumulation, teilweise auch durch Lawinen
 

3.2
Ablation

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Massenverlust des Gletschers
Erfolgt durch sommerliches Abschmelzen an der Gletscheroberfläche, an den großen polaren Gletschern hauptsächlich durch Abkalben von Eisbergen am Kontaktbereich zum Meer (z.B. Thwaites-Gletscher, Antarktis)
Das Abschmelzen des Gletschers entsteht durch Aufnahme von Energie durch die Sonneneinstrahlung und aus der Atmosphäre
Die Energiebilanz an der Gletscheroberfläche setzt sich vereinfacht wie folgt zusammen:
 

 

 

SB + L + V + B + S + N = 0

 

Mit

SB*
L
V
B
S
N

=
=
=
=
=
=

Strahlungsbilanz
fühlbarer Wärmestrom
latenter Wärmestrom
Bodenwärmestrom
Schmelz- bzw. Gefrierwärmestrom
Energiezufuhr durch Regen (sehr gering, vernachlässigbar)

 

[* SB = SBK + SBL

 

Mit

SBK
G
R
SBL

=
=
=
=

kurzwellige Strahlungsbilanz G-R
Globalstrahlung (direkt und diffus)
Reflexstrahlung
langwellige Strahlungsbilanz]
 

 

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An der Gletscheroberfläche ist die Summe dieser Term = 0. Ein Energieüberschuss wird zur Schmelze von Eis und Schnee verwendet, ein Defizit zum Gefrieren von Wasser.
Die Menge der aufgenommenen Sonnenstrahlung ist dabei abhängig von der Albedo (Rückstrahlungsvermögen) der Gletscheroberfläche:
Neuschnee:   Albedo = 80% -> Absorption = 20%
Gletschereis: Albedo =20% -> Absorption = 80%
 

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Bedeutung des Wasserdampfgehalts der Luft:
 
Wasserdampfgehalt > Sättigungsdampfdruck (bei 0°C)
=> Kondensation, Energiefreisetzung (Kondensationswärme) => mehr Schmelzenergie
 
Wasserdampfgehalt < Sättigungsdampfdruck (bei 0°C)
=> Verdunstung an der Schnee- und Eisoberfläche (Sublimation) => erhöhter Energiebedarf => verringerte Schmelze
 
Die Verdunstung führt zu einer Modifikation der Gletscheroberfläche (Penitentes) -> optische Aufhellung der Oberfläche -> vergrößerte Albedo

 
=> höchste Ablationsraten in der aperen (schneefreien) Zone des Gletschers

 

3.3
Möglichkeiten der Massenbilanzbestimmung
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Geodätische Methode:
Vergleich von Karten unterschiedlicher Aufnahmezeitpunkte. Die Fläche von bestimmten Höhenzonen (z.B. 50m-Intervalle) wird berechnet und zwischen beiden Aufnahmezeitpunkten verglichen.
Glaziologische (direkte) Methode:
Messung der Schneeakkumulation am Ende der Akkumulationsperiode (Schneeschächte, Sondierungen) -> Winterbilanz
Messung der Ablation am Ende der Ablationsperiode (Ablationspegel) -> Sommerbilanz Vergleich der Messungen -> Nettobilanz
Hydrologische Methode:
Massenbilanzbestimmung durch Messung des Schmelzwasserabflusses bei bekannten Niederschlagsmengen und Verdunstungsraten

 

4.

Gletschertypen
 

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Kar- und Wandgletscher: kleine Eisfelder, oft Reste früherer größerer Gletscher im Kar und Wandnischen; Gletscherzungen können durch Eislawinen einen regenerierten Gletscher bilden, reliefuntergeordnete Vereisung.
Talgletscher: zieht aus Karen und Firnfeldern abwärts, reliefuntergeordnete Vereisung.
Eisstromnetze: Zusammenwachsen der Talgletscher über Transfluenzpässe (Alpen, Pleistozän; Spitzbergen rezent)
Vorlandgletscher / Piedmontgletscher: Talgletscher tritt ins Vorland des Gebirges aus und bildet eine geschlossene Gletscherfront aus (Alpen, Pleistozän)
Plateaugletscher, Eiskappen: entstehen auf hochgelegenen Verebnungen im Gebirge, rel. geringen Eismächtigkeit, kurze Gletscherzungen (Jotunheimen, rezent) oder Auslassgletscher (Grönland, Jostedalsbreen, rezent). Reliefübergeordnete (Eiskappe) und - untergeordnete (Auslassgletscher) Vereisung.
Inlandeis / Kontinentale Eisschilde: flach geneigte Eiskuppeln, große Gletschermächtigkeit (>3000m). Eisschilde sind hauptsächlich Nährgebiet, Bildung von Auslassgletschern als Zehrgebiet (Antarktis, Grönland rezent; Laurentischer und Fennoskandischer Eisschild pleistozän)
Meergletscher / Eisschelf: Gletscher tritt vom Land auf das Meer über, sitzt z.T. noch dem Meeresboden auf, schwimmt großenteils auf dem Meer. Abkalben von Eisbergen. (Antarktis, Filchner-Schelfeis, rezent)

 

 

Literatur (Auswahl):
 

 

AHNERT, F. (1996): Einführung in die Geomorphologie, Stuttgart
 
BENN, D.I & D. EVANS (1998): Glaciers and Glaciation, London
 
PATERSON, W.S.B. (1994): The Physics of Glaciers, Oxford

WINKLER, S. (1996): Kleine Einführung in die Gletscherkunde, Fjærland

 

 

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