Geomorphologie

   
 

 Der Periglaziale Formenschatz

 
   

1.

Definition "Periglazial"
 

"...ein Zeit-, Klima-, [...] Sediment- und Georeliefformbegriff und bei Materialien und Georeliefformen allgemein `im Eis- oder Gletscherumland gebildet oder entstanden´ bedeutend" (LESER 1998), oder "... der Sammelbegriff für die natürlichen Eigenschaften jener kaltklimatischen Gebiete, die zwar unvergletschert sind, wo aber der Unterboden das ganze Jahr hindurch gefroren bleibt" (AHNERT 1996)

 

2.

Die periglaziale Räume der Erde
 

Morphoklimatische Kennzeichen der Periglazialgebiete:
      - mittlere Jahrestemperatur < 0°C
      - Schneeschmelze im Sommer verhindert Gletscherbildung
Das Vorkommen der Periglazialgebiete beschränkt sich dadurch heute auf die hohen Polarbreiten der Erde (Arktis, Nordamerika, Nordasien, Nordeuropa, unvergletscherte Bereiche der Antarktis). Ausnahme: die periglaziale Höhenstufe der Gebirge (Tropen: 4000 m ü. NN; mittlere Breiten, z.B. Alpen: 2000 m ü. NN). Diese Raume dehnten sich im Pleistozän während der Eiszeiten bis über das gesamte Mitteleuropa aus.

 

3.

Periglaziale Formen und Prozesse
 

3.1
Der Permafrost -Voraussetzung für alle periglazialen Prozesse
 

Bei Jahrestemperaturen < 0°C kommt es zu einem dauerhaften Gefrieren der tieferen Bodenschichten, die Dauerfrostboden oder Permafrost genannt werden. Die oberen schichten tauen im Sommer auf und bilden den Auftauboden (Mollisol), der bis in eine Tiefe von 40-50 cm (Nordgrönland) bis 1,5 m (Kanada) reichen kann. Darunter folgt in eine Tiefe von bis zu 1300 m (Grönland) der isotherme Dauerfrostboden, an den sich schließlich der Niefrostboden anschließt. Des weiteren wird unterschieden zwischen diskontinuierlichem (inselhaft auftretenden) und saisonalem Permafrost.
 

3.2
Denudative Prozesse und Formen im Periglazial
 
3.2.1
(Der Prozeß des Kriechens durch Frostwechsel im Boden)

Die durch den Frostwechsel hervorgerufene Form des Kriechens entsteht durch den Wechsel von Expansion (Gefrieren) und Kontraktion (Auftauen) des feuchten Bodensubstrates. Die Expansion erfolgt senkrecht zur Hangoberfläche, die Absenkung in Richtung der Schwerkraft. Daraus entsteht eine langsame Hangabwärtsbewegung, die im Feld am sog. Säbel- oder Kniewuchs von Bäumen zu erkennen sind. Da diese Prozesse auch außerhalb der periglazialen Regionen auftreten, gehöhren sie nicht zu den periglazialen Prozessen i. e. S.
 

3.2.2
Kammeisbildung und Frosthub

Ähnlich der o.g. Expansion und Kontraktion verhält sich auch Kammeis im Boden: Beim Auffrieren wachsen Eisnadeln senkrecht zur Abkühlungsfläche und heben gleichzeitig Bodensubstrat an, das sie beim Abtauen etwas weiter hangabwärts ablagern. Durch die gleichen Prozesse können auch Steine auffrieren, da diese beim Abtauen des sie umgebenden Feinmaterials noch mit ihrer Unterseite angefroren bleiben und somit eine relative Aufwärtsbewegung vollziehen und nach vollständigem Ausfrieren gravitativ abgetragen werden.
 

3.2.3
Gelifluktion (Periglaziale Solifluktion) und Dellenbildung

Gelifluktion ist eine von Schwerkraft, Wassersättigung, Korn- und Porengröße des Bodens abhängige hangabwärts gerichtete Fließbewegung, bei der der durchfeuchtete Auftauboden auf der gefrorenen Rutschfläche des Permafrostbodens abgleitet. Die Bewegungsbeträge bei diesem Prozeß können ca. 5-10 cm/Jahr betragen, d.h. die Gelifluktion spielt eine große Rolle in der periglazialen Denudation. Zu den Abtragungsformen gehören die Dellen, muldenförmige, talartig gestreckte Hohlformen. Unterschiede in der Abtragungsgeschwindigkeit führen zu konvex geformten Gelifluktionszungen, in denen die Steine häufig eingeregelt sind. Eine besondere Form der Gelifluktion sind die Nivationsnischen, die durch sommerliche Schneeschmelze hervorgerufen werden. Durch den nivationsbedingten Abtransport bilden sich Hohlformen , die zur Nivationsterrasse und schließlich zur Kryoplanationsterrasse auswachsen.
 

3.2.4
Blockgletscher

Gefrorenes , versickertes Schmelz- oder Niederschlagswasser verleiht Schuttanhäufungen plastische Eigenschaften, so daß sie in Form eines gletscherzungen-ähnlichen Lobus mit bis zu 30 cm/Jahr hangabwärts fließen. Der Unterschied zum Gletscher i.e.S. besteht in der Herkunft des Eises.
 

3.2.5
Abspülungsvorgänge als Form der periglazialen Denudation

Die Wasserdurchsättigung im Auftauboden sowie das Vorkommen von Feinmaterial begünstigt eine Spüldenudation, die im Periglazial in Form von Runsenspülung auftritt und bis zur fluvialen Hangzerschneidung führen kann. Allgemein besitzt Wasser im periglazialen Raum eine relativ hohe Formungstendenz.
 

3.3
Materialumsortierung
 
3.3.1
Kryoturbation: Würgeböden

Der oberflächlich aufgetaute Permafrost gefriert am Ende des Sommers von oben her wieder neu, so daß sich zwischen gefrorener Oberflächenschicht und Dauerfrostuntergrund ein nicht gefrorener Bodenbereich bildet, in dem durch Druckpressung Lagerungsstörungen im Substrat entstehen, die als Würge-, Taschen-, oder Brodelböden bezeichnet werden.
 

3.3.2
Auffrieren, Steinringpolygone und Steinstreifen

Der Prozeß des Auffrierens (3.2.2) bewirkt eine Materialsortierung im Boden und führt im flachen Gelände zur Bildung von Steinringen mit Feinerdekern. Bei schwachem Gefälle werden diese Steinringe ellipsenförmig in Hangrichtung gedehnt, stärkeres Gefälle führt zur Bildung von parallelen Steinstreifen.
 

3.3.3
Frostspalten und Eiskeilnetze

Frostspalten sind Kontraktionsrisse im Boden, die entstehen, wenn sich gefrorenes Bodenwasser bei weiterer Abkühlung zusammenzieht, und die die Oberfläche als polygonales Netzwerk überziehen. Beim Auftauen füllen sich diese Frostspalten mit Schmelzwasser und Bodenpartikeln, die im darauffolgenden Winter wieder gefrieren und dadurch die Spalte verbreitern, so daß ein Eiskeil entsteht. Diese Eiskeile, an der Oberfläche als Furche zu erkennen, können sich zu Eiskeilnetzen verbinden.
 

3.3.4
Kryokarst: Palsen/Palsas, Thufure und Pingos

Die dem echten Karst in ihrer Phänologie ähnlichen Hohlformen des Kryokarstes werden gebildet durch Auftauen und Frostbodenbewegungen, die durch kryostatischen Druck bedingt werden.
Pingos sind Aufwölbungen der periglazialen Landoberfläche, die durch oberflächennahes Bodeneis bedingt werden und Durchmesser von 30 - 100m erreichen können. Die Entstehung dieser sog. Hydrolakkolithen hängt unmittelbar mit Eiskernbildung und -wachstum zusammen. Dieser Vorgang kann auch unter artesischen Bedingungen ablaufen, wenn sog. Injektionseis einen im Boden wachsenden Eiskörper bildet.
Palsas
oder Thufure sind von Sediment (Torf) umschlossene Eiskerne, diehauptsächlich in den periglazialen Randgebieten und diskontinuierlichem Permafrost auf.
 

3.4
Talformung im Periglazial
 
3.4.1
Periglaziale Trockentäler

Die Bodengefrornis in einer Kaltzeit bewirkt eine allgemeine Undurchlässigkeit des Bodens, so daß in Bereichen, in denen aufgrund von Verkarstungsformen normalerweise nur unterirdischer Abfluß vorhanden wäre, Niederschlags- und Schmelzwasser oberflächlich abfließen und dadurch bei ausreichendem Gefälle und Erosionsleistung Täler eintiefen können. Nach dem Ende der Kaltzeit taut der Permafrost auf und die Flußläufe fallen trocken.
 

3.4.2
Talterrassen

Im Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten im Pleistozän wurden in den außerhalb der vergletscherten Zonen liegenden Flußtälern abwechselnd mächtige Sedimentkörper aufgeschüttet (Früh- und Hochglazial), in welche sich dann wieder die Gletscherabflüsse eintieften (Spätglazial) und dadurch eine Abfolge von Tal- oder Flußterrassen herausbildeten.
 

3.4.3
Äolische Prozesse im Periglazial - Dünen und asymmetrische Täler

Fluviatil aus Gletschergebieten transportierter und abgelagerter Sand wurde in den Periglazialgebieten auf höhere Terrassen- oder ähnliche Niveaus ausgeweht und bildete Dünenkörper, die heute noch als fossile Dünen auftreten und z.B. als Sandgruben genutzt werden.
Aus den Talauen und Endmoränengebieten wurde während der Eiszeit schluffiger Staub ausgeweht und äolisch flächenhaft im Periglazial abgelagert. Dieses Feinsediment, der Löß überkleidete das Relief und nivellierte die Geländeformen. In Nord-Süd-Richtung laufenden Tälern lagerte sich der mit der Westwinddrift verfrachtete Löß im Lee, d.h. am Westhang des Tales ab und führte zur charakteristischen Form des asymmetrischen Talquerschnitts.
 

3.4.4
Der "Eisrinden-Effekt" J. BÜDELs

Nach J. BÜDELs Theorie von den Reliefgenerationen herrschte im Pleistozän in den periglazialen Gebieten Mitteleuropas eine Phase exzessiver Taleintiefung. Diese Taleintiefung wurde begünstigt vom sog. Eisrinden-Effekt, der darauf beruht, daß im Eisklima im Winter durch Frostschuttsprengung im ein starker Zersatz des anstehenden Gesteins erfolgt und die sog. Eisrinde entsteht, die aus zerrüttetem Gestein und Eis (bis zu 80%) besteht. Dieses Eis taut im Sommer auf und trägt das verwitterte Material fluvial ab, so daß eine hohe Erosions- und Abtragungsleistung erbracht werden kann. Dieser Prozeß ist heute allerdings umstritten, da die Masse des von der Eisrinde bereitgestellten Schutts die Erosionsleistung vieler Flüsse im Periglazial übersteigen kann (s. Kap. 3.4.5). Nach SPÄTH (1986) ist die Bedeutung der Eisrinde vielmehr für die periglaziale Hangabtragung größer als für die Taleintiefung und spielte auch bei der Herauspräparierung der Süddeutschen Schichtstufen eine entscheidende Rolle (AHNERT 1996).
 

3.4.5
Anastomosierende Flüsse, braided rivers

Wenn periglaziale Flüsse in ihrer Sedimentfracht "ertrinken", so können sie ihr Bett nicht weiter eintiefen, sondern müssen aufschottern und bilden so Flußsysteme mit weitverzweigten Armen und Umlagerungsstrecken, die sog. anastomosierenden oder wildernden Flußsysteme.

 

Literatur (Auswahl)

AHNERT, F.:
BÜDEL, J.:
LESER, H. (ed.):

ders.:
MÜLLER, J.:
SPÄTH, H.:

Einführung in die Geomorphologie; Stuttgart, 1996
Klima-Geomorphologie (2. Aufl.); Berlin, 1981
Diercke´s Wörterbuch Allgemeine Geographie, 10. Aufl.; München, Braunschweig, 1998
Geomorphologie. In: Geographisches Seminar; Braunschweig, 1993
Grundzüge der Naturgeographie von Unterfranken; Gotha, 1996
Die Bedeutung der "Eisrinde" für die periglaziale Denudation, in: Zeitschrift für Geomorphologie; Berlin,Stuttgart, 1986

 

 

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